Wenn du in der Kunsthalle zu Kiel durch die aktuelle Ausstellung AMBO von Alicja Kwade wanderst, wirst du an manchen Stellen kaum deinen Augen trauen. Denn die Künstlerin spielt auf eine inspirierende Art und Weise mit Wirklichkeit und Wahrnehmung. Dieses Spiel ist auch für weniger kunstversierte Menschen sehr spannend gestaltet.
.
Ich muss zugeben, dass ich eher selten Kunstausstellungen besuche. Einmal im Jahr schlendere ich im Rahmen der schönen Kieler Museumsnacht gerne durch die Kunsthalle. Diese Atmosphäre am Abend ist einmalig. Aber zwischendurch schaffe ich es dann leider doch nur selten, mir Zeit für Kunst zu nehmen. So bin ich bei meinem Besuch der Ausstellung AMBO vor ein paar Tagen direkt zu Beginn in ein kleines Fettnäpfchen getreten.
Es ist noch früh am Morgen, die Kunsthalle hat gerade geöffnet und Harriet Meyer, die Mitarbeiterin, die mich durch die Ausstellung führt, betritt mit mir gemeinsam den ersten Ausstellungsraum. Als erstes fällt mir eine Glühbirne an einem schwarzem Kabel, die auf dem Boden liegt, ins Auge. „Gehört das zum Kunstwerk?“, höre ich mich diese offensichtliche Anfängerfrage stellen. Manchmal ist mein Mund schneller als mein Kopf. Doch Frau Meyer lässt sich nichts anmerken und erklärt mir, was es mit der Lampe auf sich hat. Doch dazu später mehr.
Die Ausstellung von Alicja Kwade erstreckt sich über drei Haupträume.
Die komplette rechte Glasfront, die normalerweise den Innenhof der Kunsthalle zeigt, ist verspiegelt. Dadurch wirkt der Raum riesig. Der übliche Marmorboden wurde verändert und erscheint jetzt klinisch grau. Während wir langsam durch den Ausstellungsort schreiten, erklärt Frau Meyer, dass diese Ausstellung auch für Kunstneulinge sehr interessant sein kann und ich weiß sofort, was sie damit meint. Durch die unzähligen Spiegelflächen wird meine eigene Wahrnehmung auf eine harte Probe gestellt, sodass ich näher an die Kunstwerke herantreten und sie aus anderen Blickwinkeln betrachten möchte.
Verwundert erkenne ich immer wieder neue Spiegelungen, durch die ein Ast plötzlich zweifarbig erscheint oder ein Felsbrocken zur einen Hälfte silber und zur anderen Hälfte naturfarben wirkt. Mit meinen Händen muss ich mich immer wieder vorsichtig nach vorne tasten, damit ich nicht gegen einen Spiegel laufe. Ich bin begeistert und kann mich gar nicht daran satt sehen. Für dieses wirkungsvolle Erlebnis braucht man wirklich kein Kunststudium.
Es bereitet unglaublich großen Spaß das Kunstwerk mit eigenen Augen zu entdecken.
Die eindrucksvollen kupferfarbenen Gebilde stechen für mich optisch besonders heraus, denn sie treten immer wieder in veränderter Form auf. Dass die glänzenden Trichter, die mich an Blasinstrumente erinnern, einen Prozess darstellen, liegt auf der Hand. Treten sie im ersten Raum ausschließlich kupfer-metallisch auf, zeigt sich im letzten Raum der typische Oxidationsprozess in Form einer hellgrünen Farbschicht. „Inhaltlich und formal setzt sich die Künstlerin bei diesen Gebilden unter anderem mit der Relativitätstheorie – insbesondere in Form von Wurmlöchern – auseinander“, so erläutert Frau Meyer die Darstellungen. Ich erkenne, dass Steine auf die Reise durch die Wurmlöcher geschickt werden, denn an einigen Trichteröffnungen sehe ich schwere Granitbrocken, während an anderen Trichtern grüne Steine und Staub herauszukommen scheinen. Alicja Kwade stellt damit die Veränderung von Materie dar, die durch die Wurmlochtheorie entstehen könnte. Aus Granit wird hier das grüne Kupfermineral Malachit.
Raum und Zeit sind stets präsente Themen, welche die Künstlerin bei ihrer Arbeit beschäftigen.
Diese Fragen sind meist nicht auflösbar, doch genau aus diesem unerklärlichen Moment des Scheiterns schöpft sie neue Inspiration. Das Spiel von Wahrnehmung und Wirklichkeit tritt dabei genauso in den Kunstwerken hervor, wie ein großes Maß an Doppeldeutigkeit. So steht auch der Name der Ausstellung AMBO für ambiguity (englisch für Mehrdeutigkeit).
Als wir im letzten Raum ankommen, finde ich das Gegenstück zu der Fettnäpfchen-Glühbirne auf dem Boden liegen. Die beiden Glühlampen wechseln einander in einem langsamen Auf- und Abflammen ab. Wenn die eine Lampe leuchtet, ist die andere dunkel. Alicja Kwade möchte damit den Moment eines Sonnenuntergangs in Berlin veranschaulichen. Genau 209 Sekunden beträgt diese Zeitspanne. Ein bewegendes Bildnis, wie ich finde, denn es vermittelt mir das Gefühl von Unendlichkeit. Wenn hier die Sonne untergeht, geht sie gerade auf der anderen Seite des Erdballs wieder auf. Immer und immer wieder.
Daneben sind in der Kunsthalle außerdem zwei Videos, eine Installation mit Messingringen und Uhrzeigern auf Papier sowie eine zweiteilige Fotografie Teil der Ausstellung von Alicja Kwade. Die Fotografie zieht mich nochmal besonders in ihren Bann, denn sie spielt erneut mit der eigenen Wahrnehmung. Auf den ersten Blick erscheinen die Fotos gespiegelt, sodass man davon ausgeht, dass es sich um ein und dieselbe Frau handelt. Doch auf den zweiten und dritten Blick fallen mir immer mehr Unterschiede ins Auge. Die Halskette ist eine andere und das Profil der Frauen wirkt auf einmal doch nicht mehr identisch. „Das rechte Bild ist ein Selbstporträt von Alicja Kwade“, sagt Frau Meyer. „Und das linke Bild zeigt ein italienisches Model. Die Fotografie hat die Künstlerin zufällig in einem Magazin gefunden.“ Sie habe sich selbst über die Ähnlichkeit gewundert. Das Kunstwerk trägt den Namen „Ich ist eine andere“, was ich sehr passend und zugleich anregend finde.
Abschließend kann ich den Besuch der Ausstellung AMBO sehr empfehlen.
Mich hat diese so tief berührt, dass ich auch noch danach über die Thematik von Doppeldeutigkeit und Parallelwelten nachgedacht habe. Gerade in Zeiten von Social Media weiß man manchmal nicht, ob man seinen eigenen Augen noch trauen kann. Instagram scheint zur einer Blase heranzuwachsen, in der oft mehr Schein als Sein zählt. Längst geht es nicht mehr nur um das Teilen von echten, aus dem Leben gegriffenen Eindrücken, sondern um eine Inszenierung, um Selbstdarstellung mithilfe von Filtern, die jedes Foto gleich aussehen lassen. Doch nicht nur berufsbedingt, sondern auch privat hat mich die Ausstellung sehr zum Nachdenken angeregt.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 16. September 2018.
Kunsthalle zu Kiel
Düsternbrooker Weg 1
24105 Kiel
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 20 Uhr
Fotos: Annchristin Seitz
Hinterlasse deinen Kommentar